Archiv der Kategorie: Allgemein

Morbus Sudeck: Diagnose ohne Apparate möglich

Unklare und inadäquate Schmerzen nach einer Operation oder einem Trauma sollten immer auch an einen Morbus Sudeck (CRPS) denken lassen. Kernaussagen der neuen Leilinie von 2018.
Paul Sudeck war der Erstbeschreiber der „entgleisten Heilentzündung“, die heute international als „complex regional pain syndrom“ (CRPS) bezeichnet wird. Ein CRPS entwickelt sich nach Verletzungen von Extremitäten bei 2–5 % der Patienten, am häufigsten bei distaler Radiusfraktur („loco typico“). Ein spontan auftretendes CRPS ist sehr selten, aber auch Bagatelltraumata können dieses Syndrom auslösen.
Das CRPS wird unterteilt in CRPS I (ohne Läsion eines größeren Nerven) und CRPS II (mit Nervenläsion). Mittlerweile wird eine Einteilung in ein „primär warmes“ und ein „primär kaltes“ CRPS bevorzugt. Diese Kategorien sind deswegen interessant, da sie unterschiedliche therapeutische Optionen nach sich ziehen und eine unterschiedliche Prognose haben.
Symptome zeigen sich frühzeitig
Ein primär warmes CRPS zeigt die typischen Entzündungszeichen (dolor, tumor, rubor, calor), ein primär kaltes beinhaltet eine blasse Hautfarbe und eine kältere Temperatur. Das CRPS II und das primär kalte CRPS weisen oft eine schlechtere Prognose auf (1). Die modifizierten Budapest-Kriterien (siehe Kasten) sind diagnostisch maßgebend. Wegweisend sind in jedem Fall Sensibilitätsstörungen, die sich nicht an Nervenversorgungsgebiete halten („handschuhförmig“), motorische und vegetative Störungen sowie Körperschemastörungen.
Häufig kommt es frühzeitig nach Trauma oder Operation zu inadäquaten Schmerzen bei Belastung und in Ruhe. Vor allem distal der Fraktur weisen die Gelenke eine Druckhyperalgesie auf, die Haut eine mechanische und thermische Hyperalgesie. Häufig besteht schon früh im Krankheitsverlauf eine ausgeprägte Allodynie, die ebenfalls nicht den typischen Nervenversorgungsgebieten entspricht.
Neben einer Einschränkung der aktiven und passiven Beweglichkeit dominieren gelegentlich vielfältige neurologische Symptome – wie Störungen der Diadochokinese, schmerzbedingte Kraftminderung, Tremor, Myoklonien und Dystonien.
Vegetative Zeichen sind Änderungen von Hauttemperatur und Hautfarbe, Ödeme, Veränderungen des Haar- und Nagelwachstums sowie Hyper- oder auch Hypohidrose. Diese Symptome ändern sich individuell im Verlauf stark. Unbehandelt kommt es durch trophische Veränderungen rasch zu Bewegungseinschränkungen und Kontrakturen.
Es sollte immer eine psychologische Evaluation hinsichtlich posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) und generalisierter Angststörung (GAD) durchgeführt werden. Letztere haben einen negativen prädiktiven Wert für den Verlauf (2).
Frühe multimodale Therapie
Der Erfolg der Behandlung des CRPS hängt davon ab, dass möglichst frühzeitig eine multidisziplinäre (multimodale) Therapie von Schmerzen, Funktionsverlust und eventueller psychischer Begleitstörung bereitgestellt wird.
Im Zentrum der analgetischen Therapie stehen Medikamente, die die zugrunde liegende Neuropathie positiv beeinflussen (siehe Tabelle). Dabei werden trotz geringer Evidenz die Kalziummodulatoren Gabapentin und Pregabalin verabreicht. Ketamin-Infusionen über mehrere Tage reduzieren die Schmerzen und verbessern die Funktion über einen Zeitraum von mehreren Wochen.

Niedrig dosierte intravenöse Immunglobuline (0,5 g/kg) sind bei chronischem CRPS unwirksam und werden daher auch nicht empfohlen. Baclofen kann in spezialisierten Zentren intrathekal bei Dystonie angewendet werden.

Beim warmen CRPS in der Akutphase wird aufgrund der antiinflammatorischen und antiödematösen Wirkung mit Kortikoiden behandelt in einer Dosis von 1 mg/kg KG Prednisolon-Äquvalent. Calcitonin wird als unwirksam charakterisiert. Eine weitere Säule der medikamentösen Therapie sind Bisphosphonate, die in der Leitlinie in vergleichsweise hoher Dosis empfohlen werden. Wir geben jedoch aufgrund potenzieller Nebenwirkungen meist eine geringere Dosis.

Neu in den Empfehlungen findet sich N-Acetylcystein (NAC), das in einer Vergleichsstudie genauso wirksam war wie Dimethylsulfoxid-Salbe (DMSO) und so gut wie nebenwirkungsfrei ist.

Topisch kann Dimethylsulfoxid-Salbe (DMSO) aufgetragen werden, die in den Niederlanden zur antiinflammatorischen Standardtherapie beim CRPS gehört. Die Datenlage ist allerdings dünn.

Eine Ambroxol-Salbenmischung (Ambroxol 10 g, DMSO 5 g, Linola 50 g) wird in der Leitlinie nicht erwähnt, wirkt aber gut gegen die Allodynie (3). Ambroxol reduziert offenbar oxidativen Stress und ist ein Natriumkanalmodulator.

Es gibt einige Studien zu Naltrexon (4), die aber ebenfalls nicht in der Leitlinie erwähnt werden.

Eine Rückenmarkstimulation („spinal cord stimulation“, SCS) wird nur für therapierefraktäre Patienten empfohlen, sofern die Probestimulation effektiv war. Hier fehlen jedoch Langzeitdaten. Die elektrische Stimulation von Spinalganglien („dorsal root ganglion stimulation“, DRG) könnte künftig eine Alternative sein.

Funktionell wird vor allem ein abgestufter Übungsplan („graded exposure“) empfohlen, der ähnlich wie die „Angsthierachie“ zur Therapie von Phobien funktioniert, sowie die Spiegeltherapie nach Ramachandran. Beide Verfahren sind wirksamer als die Standardphysiotherapie.

Für regionalanästhetische Verfahren am Sympathikus (GLOA, Stellatum-Blockade) gibt es nach wie vor keine Evidenz der Wirksamkeit. Die oft angewandte „pain exposure physical therapy“ (PEPT) konnte in Studien die Funktion, aber nicht die Schmerzen bei CRPS verbessern und wird daher nicht mehr empfohlen.

Fazit für die Praxis

  • Diagnostik und Therapie des CRPS haben sich in den letzten Jahren weiterentwickelt.
  • Ärzte und Physiotherapeuten sollten mit den „modifizierten Budapest-Kriterien“ vertraut sein, die auf schwer zuzuordnende Störungen der Sensibilität, Motorik und Trophik abheben.
  • Die Diagnose ist meist ohne apparative Zusatzuntersuchungen zu stellen.
  • Für eine gute Prognose ist die rasch beginnende multidisziplinäre Behandlung essenziell. Hier sind die Spiegeltherapie nach Ramachandran und die „Graded-exposure“-Verfahren wichtige Bausteine.

Dtsch Arztebl 2019

Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie

Was gibt es Neues?
1. Wenn die Schmerzen nach einer konservativ behandelten distalen Radiusfraktur nach 1 Woche immer noch >/= 5 auf einer Rating-Skala bis 10 sind, dann steigt das Risiko für ein CRPS an.

2. Das Vorhandensein einer Druckschmerzhyperalgesie der Gelenke distal einer Fraktur/Operationsstelle hilft, die klinische Diagnose CRPS zu sichern.

3. Alle CRPS-Patienten sollten auf das Vorliegen posttraumatischer Belastungssymptome und genereller Angstsymptome hin untersucht werden. Letztere haben einen negativen prädiktiven Wert für den Therapieverlauf.

4. Neridronat 400 mg i.v. kann Schmerz und Hyperalgesie reduzieren und die Lebensqualität bei CRPS < 6 Monate Dauer verbessern.

5. Ketamin-Infusionen über mehrere Tage reduzieren die Schmerzen und verbessern, allerdings nur in geringem Umfang, die Funktion bei CRPS über einen Zeitraum von mehreren Wochen. Grundsätzlich besteht bei Ketamin ein erhöhtes Risiko unerwünschter psychotroper Effekte, von Abhängigkeit sowie bei wiederholter Anwendung von Organschäden.

6. Niedrig dosierte intravenöse Immunglobuline (0,5 g/kg) sind bei chronischem CRPS nicht wirksam.

7. Physiotherapie, die konkrete Ängste gezielt reduziert („graded exposure“), ist bei CRPS wirksamer als Standardphysiotherapie.

8. Die „Pain Exposure Physiotherapie“ PEPT verbessert die Funktion, aber nicht die Schmerzen bei CRPS und wird nicht mehr empfohlen.

9. Für regionalanästhetische Verfahren am Sympathikus gibt es nach wie vor keine Evidenz zur Wirksamkeit.

10. Die Spinalganglien-Stimulation an der LWS könnte eine Alternative zur rückenmarksnahen Elektrostimulation (SCS) sein.

Hier das neue Leitlinien Buch zum runterladen

Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie © DGN 2018
Leitlinien

Die eigene Erkrankung besser verstehen

Immer wieder berichten Erkrankte, dass sie nicht alles verstehen, was Ärzte ihnen sagen oder was in Beipackzetteln steht. Die Landesarbeitsgemeinschaft der Selbsthilfekontaktstellen und Selbsthilfeunterstützung in Rheinland-Pfalz hat deshalb für verschiedene Situationen und Krankheitsbilder Broschüren in einfacher Sprache erstellt. Sie können Patienten dabei helfen, Informationen besser zu verstehen. Darunter ist auch eine Broschüre „Ich verstehe dich – Gespräche in Gruppen“.

 

Hier können Sie die Broschüren downloaden:

https://www.unipark.de/uc/NEPS/5815/

 

Autor: SchmerzLos

Mit 54 Jahren berufsunfähig

Sie ist mit ihren 54 Jahren berufsunfähig. Als medizinische Datenerfasserin hat sie in einem Büro gearbeitet. Ihre rechte Hand kann sie nicht mehr nutzen. „Aber ich muss etwas tun“, sagt sie. Mit der Diagnose begann für sie eine intensive Recherche. Sie weiß, dass die Krankheit in den USA viel bekannter ist. Über diesen Kontakt hat Elke Kraft die CRPS-Selbsthilfegruppe Düsseldorf gegründet. „Das wichtigste, was ich brauche, ist ein Raum, den ich kostenfrei nutzen kann“, sagt sie. Ab dann sollen einmal im Monat Treffen für Betroffene und Angehörige stattfinden. Es soll beraten und Vorträge gehalten werden. Auch sei die Selbsthilfegruppe auf der Suche nach Sponsoren und Unterstützern. Flyer müssen bezahlt werden, Telefonate geführt werden, usw. „Bisher zahle ich das alles aus eigener Tasche“, so Kraft. Wir möchten das Schmerzsyndrom, unter dem in Deutschland offiziell 8000 Personen leiden, bekannter zu machen.

Quelle: NRZ

Ein Leben mit Schmerzen

Sie gibt die linke Hand zur Begrüßung. Die rechte hält sie, zu einer Faust gekrümmt, geschützt an ihrem Körper. Elke Kraft hat CRPS, eine chronische Schmerzerkrankung, die in Folge einer Verletzung entsteht. Sie möchte die seltene Krankheit bekannter machen. Deshalb, und auch um anderen zu helfen, hat sie eine Selbsthilfegruppe in Düsseldorf gegründet.

Ihre Leidensgeschichte beginnt im April 14. Sie hat Bandscheibenvorfälle in der Halswirbelsäule, die ihr Probleme bereiten. „Deshalb habe ich eine Infiltration bekommen“, sagt sie. Am Nachmittag des gleichen Tages haben, so erinnert sie sich, die Schmerzen in ihrem rechten Arm begonnen. In der Folge wurde er dicker, die Haut rot-blau. „Und ich habe unglaubliche Schmerzen“, so Elke Kraft. Berührungen erträgt sie nicht, wenn sie sich die Fingernägel schneiden muss, geschieht das nur unter enormen Schmerzen. „Ich habe in der Folge eine Odyssee durch Arztpraxen gemacht“, sagt Elke Kraft. Was sie dabei erlebt hat, lässt sie den Kopf schütteln. „Ein Arzt sagte zu mir, ich solle mit meiner Hand sprechen“, so Kraft. Im Laufe der Monate wurden dann viele Krankheiten ausgeschlossen. Ein Arzt in der Uniklinik stellte dann endlich die Diagnose: CRPS, früher als Morbus Sudeck bezeichnet. Elke Kraft startete mit einer Schmerztherapie, inzwischen hat sie die dritte Medikamentenumstellung hinter sich. „Irgendwann wirken die eben nicht mehr“, so Kraft.

CRPS habe unterschiedliche Krankheitsverläufe. Viel hänge auch davon ab, wann die Krankheit erkannt werde. Betroffen sind immer „nur“ die Extremitäten. Nach den Schmerzen, so heißt es in einer Aufklärungsbroschüre, treten Veränderungen der Haut, die als Folge einer Fehlfunktion des sympathischen Nervensystem auf. Im nächsten Verlauf tritt dann unter schwersten Schmerzen ein Schwund der Haut der Extremitäten, des Bindegewebes und der Knochen auf.

Quelle: NRZ

Der Termin fürs nächste Gruppentreffen steht fest

Wir dachten eine gemütliche Runde in einer gemütlichen Atmosphäre,

im Hirschchen, Alt Pempelfort 2, 40211 Düsseldorf,

im Herzen des Stadtteils Pempelfort gelegen, Ende September.

Den genauen Termin ist der 15.12.2017 ab 18 Uhr.

Wir bitten um eine kurze Mail an: crps.shg.duesseldorf@web.de, oder unter Tel.: 0211 36180015 mit wie vielen Personen sie kommen möchten, damit wir alles weitere planen können.

Bringen Sie den Partner oder Verwandte und Freunde gerne mitbringen.

Wir hoffen auf ein zahlreiches erscheinen und verbleiben,

mit lieben Grüßen
Elke Kraft

Planung eines Gruppentreffens

Wir möchten unser 2tes Gruppentreffen planen.

Wir dachten eine gemütliche Runde in einer gemütlichen Atmosphäre,

im Hirschchen, im Herzen des Stadtteils Pempelfort gelegen, Ende September.

Den genauen Termin werden wir noch bekannt gegeben, es wird allem Anschein nach der 21.9.2017 oder der 28.09.2017 sein.

Wir bitten um eine kurze Mail an: crps.shg.duesseldorf@web.de, oder unter Tel.: 0211 36180015 mit wie vielen Personen sie kommen möchten, damit wir alles weitere planen können.

Bringen Sie den Partner oder Verwandte und Freunde gerne mitbringen.

Leider  sind wir zwischen dem 09.09.2017 und dem 17.09.2017 aus technischen Gründen nicht zu erreichen.

Wir hoffen auf ein zahlreiches erscheinen und verbleiben,

mit lieben Grüßen
Elke Kraft

 

2017 Beitrittserklärung

Interdisziplinäre Schmerztherapie mit Entspannungs- und Imaginationsverfahren

Standard ist laut Bosse eine interdisziplinäre Schmerztherapie mit Entspannungs- und Imaginationsverfahren sowie angstlösenden psychotherapeutischen Interventionen. Außerdem werden Kinesiophobie und dysfunktionale Schonmythen abgebaut. „Für das komplexe Krankheitsbild des CRPS ist die multimodale Schmerztherapie nachweislich anderen Therapien überlegen.“

Die betroffenen Gliedmaßen sollen in den Alltag integriert und genutzt werden, als seien sie gesund – denn sie sind es ja eigentlich auch. Dabei werden die Patienten mit somatischen und psychologischen Verfahren in Kleingruppen von einem interdisziplinären Team in enger Absprache behandelt. Voraussetzung allerdings ist der Ausschluss psychischer Komorbiditäten.

Ein noch relativ neues Verfahren bei CRPS ist hingegen das Bewegungsvorstellungstraining (motor imagery training). Hierbei üben die Patienten konkrete Bewegungskoordinationen, die durch CRPS eingeschränkt wurden, durch mentales Training. Im Verlauf der Therapie organsiert sich die Großhirnrinde neu.

Dies gilt auch für die Spiegeltherapie, die eigentlich zur Behandlung von Phantomschmerz entwickelt wurde. Dabei wird dem Patienten über einen Spiegel die gesunde Hand gedoppelt, die betroffene Hand wird hinter dem Spiegel versteckt. Wenn der Patient die gesunde Hand bewegt und die versteckte Hand ebenso, dann wird seinem Gehirn durch die ausgetrickste visuelle Kontrolle signalisiert, dass beide Hände gleichermaßen funktionieren. Auf diese Weise wird eine Normalisierung des Zusammenspiels von Sensorik und Motorik auf kortikaler Ebene erreicht. Es verbessert sich zudem die zerebrale Körperpräsentation und Körperwahrnehmung und die Bewegungsangst wird reduziert.

Quasi die Speerspitze der Therapien, die auf das ZNS fokussieren … ist die Pain Exposure Physical Therapy.Dr. Florian Bosse

Neue Hoffnung durch PEPT?

„Quasi die Speerspitze der Therapien, die auf das ZNS fokussieren, ist PEPT, die Pain Exposure Physical Therapy, eine neue Physiotherapieform aus den Niederlanden“, berichtete Bosse. „Die Behandler erklären den Patienten, dass der verspürte Schmerz kein Warnsignal dafür ist, dass an der betroffenen Extremität ein Problem vorliegt, denn die ist eigentlich heil.“ Das Gehirn habe nur noch nicht mitbekommen, dass das auslösende Trauma bereits geheilt ist. „Den Patienten wird erklärt, dass der Schmerz eine Fehlinterpretation und Fehlregulation des ZNS ist.“

Danach beginnt ein systematisch in der Intensität gesteigertes physikalisches Training. Der eigentliche Knackpunkt aber ist, dass die Patienten auf die Einnahme aller Analgetika verzichten müssen: Vor Beginn der Therapie wird klargemacht, dass jede Schmerzäußerung ignoriert werden wird. Dabei werden auch die Familienangehörigen mit einbezogen.

Die Erfolge sind vielversprechend: Eine niederländische Studie mit 106 Patienten zeigte eine Funktionsverbesserung bei 95 Patienten, 49 zeigten eine vollständige, 46 eine teilweise Wiederherstellung. Nur 4 Patienten sind aufgrund der Schmerzen aus der Therapie ausgestiegen.

„Wenn die Patienten auch intensiv psychotherapeutisch – etwa mit einer Verhaltenstherapie – begleitet werden, weil sie Bewegungsangst haben und eine Neigung zur Katastrophisierung, dann kann diese Methode sehr, sehr gut funktionieren“, so Bosse.

Quelle: Medscpemedizin

Das Gehirn spielt vermutlich die zentrale Rolle

Das Gehirn spielt vermutlich die zentrale Rolle

„Bis ins Einzelne hat man das CRPS noch nicht begriffen und ich glaube auch, dass das Verstehen erst richtig anfängt“, meint Bosse. In den vergangenen Jahren mehren sich jedenfalls Hinweise auf eine entscheidende Rolle des Zentralnervensystems (ZNS). Darauf weisen z.B. Lähmungen und das Springen der CRPS-Symptomatik von der betroffenen auf die ursprünglich nicht betroffene Seite hin. Gleiches gilt für das im Zuge des CRPS auftretende Neglect-Phänomen: „Die Patienten sprechen über die betroffene Extremität als gehörte sie nicht zu ihrem Körper, zu ihrem Ich. Oft verstecken sie sie sogar, die Hand zum Beispiel unter dem Tisch oder in der Jacke“, erklärt Bosse.

Die Patienten sprechen über die betroffene Extremität als gehörte sie nicht zu ihrem Körper.Dr. Florian Bosse

Mittels MRT-Aufnahmen konnte vor einiger Zeit eine Störung des Körperschemas nachgewiesen werden: Bei Patienten mit CRPS an der Hand sind die Repräsentationsareale für den kleinen Finger und den Daumen im motorischen Kortex so nahe aneinandergerückt, dass sie fast überlappen. Die daraus resultierende gestörte neuromuskuläre Ansteuerung erklärt, warum diese Patienten ihre Finger nicht mehr richtig koordinieren können.

Diese neuen Erkenntnisse werden in den aktuellen Leitlinien bereits gespiegelt: „Sie betonen, dass in der Akutphase eines CRPS peripher-entzündliche Vorgänge vorherrschen“, resümierte Bosse, „sich aber mit der Dauer der Erkrankung zunehmend neuroplastische Veränderungen im ZNS entwickeln – eine Veränderung, die in der Therapieplanung auf jeden Fall berücksichtigt werden sollte.“

Zudem seien wiederholte Sympathikus-Blockaden nicht mehr das Mittel der Wahl, da ihre Wirksamkeit nicht ausreichend belegt sei. „Das kann man irgendwann einmal machen, wenn alle anderen Therapieansätze versagt haben“, so der Oberarzt, „aber das ist nicht die Hauptsäule, auf der unsere Therapie beruhen darf.“

Möglichkeiten medikamentöser Therapie beschränkt

„Was wir medikamentös zur Verfügung haben, das passt in eine Hand“, bedauerte Bosse. Da steht an erster Stelle das Kortison, aber auch Bisphosphonate sowie Analgetika bzw. Antineuropathika wie Gabapentin und Ketamin werden empfohlen. Als topische Behandlung werde die DMSO (Dimethylsulfoxid)-Creme als Radikalfänger eingesetzt.

Einen neuen medikamentösen Therapieansatz biete Ambroxol, das eigentlich zur Verflüssigung von Bronchialschleim eingesetzt wird. „Es ist ein Natriumkanal-Blocker, den man auch als Creme topisch anwenden kann. Das gibt es noch nicht auf dem Markt, aber wir haben es von unserer Apotheke anrühren lassen und haben es versucht. Es ist noch nicht klar, ob es wirkt, aber die Idee zumindest ist attraktiv.“

Was wir medikamentös zur Verfügung haben, das passt in eine Hand. Dr. Florian Bosse

Alles in allem sind die Ergebnisse jedoch begrenzt. „Schauen wir uns die medikamentösen und invasiven Therapien einmal genauer an, die wir bis dato mit bestem Wissen und Gewissen anbieten“, so Bosse, „dann sehen wir, dass sie sich alle auf die Peripherie fokussieren. An die eigentliche potentielle Quelle der Erkrankung, die zentrale Dysorganisation kommen sie nicht heran.

Physiotherapien als funktioneller Therapieansatz

Das gelinge nur über Physio- und Ergotherapie. Es sind funktionelle Therapieansätze, die eine Neuorganisation der Neuromatrix im Gehirn und damit eine ungestörte Kommunikation innerhalb der verschiedenen Gehirnregionen und zwischen Gehirn und Peripherie zum Ziel haben.

Quelle: Medscapemedizin

Viel zu spät erkannt – trotz einfacher Diagnosekriterien

Noch immer wird CRPS sehr oft zu spät diagnostiziert. „Der Operateur oder Arzt bekommt in der Regel den CRPS gar nicht zu Gesicht. Der erste, der damit konfrontiert wird, ist meist der Physiotherapeut. Doch bis dahin ist schon viel Zeit vergangen. „Daher muss unser Ziel sein, die Zuweiser zu sensibilisieren“, appellierte Bosse, „also die Hand- und Unfallchirurgen. Sie müssen nicht nur diese Erkrankung im Hinterkopf haben, sie müssen sich auch trauen, die Diagnose zu stellen, um so möglichst schnell eine interdisziplinäre Therapie einzuleiten.“

„Wir haben unseren Hand- und Unfallchirurgen eine Checkliste mit den Diagnosekriterien in die Ambulanz gelegt und erhalten nun immer wieder Anrufe mit der Bitte zu kontrollieren, ob es sich tatsächlich um ein CRPS handelt“ erzählt Bosse von seinen Erfahrungen. „So können wir die Patienten recht leicht herausfiltern.“

Die Diagnose ist mit den 2014 formulierten „modifizierten Budapest-Kriterien“ kein Problem. „Das sind sehr simple und gut anwendbare diagnostische Kriterien, mit denen das CRPS recht sicher bestimmt werden kann.“ Sie bestehen aus 4 Blöcken:

1. Aus Sicht des Patienten: anhaltender Schmerz, der durch das Anfangstrauma nicht mehr erklärt werden kann.
Symptomkategorien:
Sensibilität: Hyperalgesie, „Hyperästhesie“, Allodynie
Vasomotorik: Asymmetrie der Hauttemperatur, Veränderung der Hautfarbe
Sudomotorik: Ödem, Asymmetrie im Schwitzen
Motorik/Trophik: reduzierte Beweglichkeit, Dystonie, Tremor, Muskelschwäche, Veränderungen von Haar- oder Nagelwuchs

2. Anamnestisch: jeweils 1 Symptom aus mindestens 3 Kategorien

3. Untersuchung: jeweils 1 klinisches Zeichen aus mindestens 2 Kategorien

4. Keine andere Erkrankung erklärt die Symptomatik