Das Gehirn spielt vermutlich die zentrale Rolle

Das Gehirn spielt vermutlich die zentrale Rolle

„Bis ins Einzelne hat man das CRPS noch nicht begriffen und ich glaube auch, dass das Verstehen erst richtig anfängt“, meint Bosse. In den vergangenen Jahren mehren sich jedenfalls Hinweise auf eine entscheidende Rolle des Zentralnervensystems (ZNS). Darauf weisen z.B. Lähmungen und das Springen der CRPS-Symptomatik von der betroffenen auf die ursprünglich nicht betroffene Seite hin. Gleiches gilt für das im Zuge des CRPS auftretende Neglect-Phänomen: „Die Patienten sprechen über die betroffene Extremität als gehörte sie nicht zu ihrem Körper, zu ihrem Ich. Oft verstecken sie sie sogar, die Hand zum Beispiel unter dem Tisch oder in der Jacke“, erklärt Bosse.

Die Patienten sprechen über die betroffene Extremität als gehörte sie nicht zu ihrem Körper.Dr. Florian Bosse

Mittels MRT-Aufnahmen konnte vor einiger Zeit eine Störung des Körperschemas nachgewiesen werden: Bei Patienten mit CRPS an der Hand sind die Repräsentationsareale für den kleinen Finger und den Daumen im motorischen Kortex so nahe aneinandergerückt, dass sie fast überlappen. Die daraus resultierende gestörte neuromuskuläre Ansteuerung erklärt, warum diese Patienten ihre Finger nicht mehr richtig koordinieren können.

Diese neuen Erkenntnisse werden in den aktuellen Leitlinien bereits gespiegelt: „Sie betonen, dass in der Akutphase eines CRPS peripher-entzündliche Vorgänge vorherrschen“, resümierte Bosse, „sich aber mit der Dauer der Erkrankung zunehmend neuroplastische Veränderungen im ZNS entwickeln – eine Veränderung, die in der Therapieplanung auf jeden Fall berücksichtigt werden sollte.“

Zudem seien wiederholte Sympathikus-Blockaden nicht mehr das Mittel der Wahl, da ihre Wirksamkeit nicht ausreichend belegt sei. „Das kann man irgendwann einmal machen, wenn alle anderen Therapieansätze versagt haben“, so der Oberarzt, „aber das ist nicht die Hauptsäule, auf der unsere Therapie beruhen darf.“

Möglichkeiten medikamentöser Therapie beschränkt

„Was wir medikamentös zur Verfügung haben, das passt in eine Hand“, bedauerte Bosse. Da steht an erster Stelle das Kortison, aber auch Bisphosphonate sowie Analgetika bzw. Antineuropathika wie Gabapentin und Ketamin werden empfohlen. Als topische Behandlung werde die DMSO (Dimethylsulfoxid)-Creme als Radikalfänger eingesetzt.

Einen neuen medikamentösen Therapieansatz biete Ambroxol, das eigentlich zur Verflüssigung von Bronchialschleim eingesetzt wird. „Es ist ein Natriumkanal-Blocker, den man auch als Creme topisch anwenden kann. Das gibt es noch nicht auf dem Markt, aber wir haben es von unserer Apotheke anrühren lassen und haben es versucht. Es ist noch nicht klar, ob es wirkt, aber die Idee zumindest ist attraktiv.“

Was wir medikamentös zur Verfügung haben, das passt in eine Hand. Dr. Florian Bosse

Alles in allem sind die Ergebnisse jedoch begrenzt. „Schauen wir uns die medikamentösen und invasiven Therapien einmal genauer an, die wir bis dato mit bestem Wissen und Gewissen anbieten“, so Bosse, „dann sehen wir, dass sie sich alle auf die Peripherie fokussieren. An die eigentliche potentielle Quelle der Erkrankung, die zentrale Dysorganisation kommen sie nicht heran.

Physiotherapien als funktioneller Therapieansatz

Das gelinge nur über Physio- und Ergotherapie. Es sind funktionelle Therapieansätze, die eine Neuorganisation der Neuromatrix im Gehirn und damit eine ungestörte Kommunikation innerhalb der verschiedenen Gehirnregionen und zwischen Gehirn und Peripherie zum Ziel haben.

Quelle: Medscapemedizin

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